autistisch
Zu 4.) Introvertiertes (autistisches) Verhalten
Strittig ist die Ätiologie genauso wie die hirnorganische Beteiligung. Angenommen werden Heredität (“Autismusfaktor”) und additiv frühkindliche Hirnschäden, Hirnfunktionsstörungen und/oder entsprechendes Familienmilieu, die den Autismus aus der Latenz schieben. Psychodynamisch gibt es dann andere Erklärungsmodelle, in denen der “Autismusfaktor” als Beeinträchtigung der Möglichkeiten gesehen wird, sich ausreichend selbst psychologisch zu organisieren.
Übliche Typologie:
Asperger-Syndrom (auch: autistische “Psychopathie”); Psychogener Autismus (bei Deprivationssyndromen wie z. B. Verwahrlosung, Hospitalismus usw.); Somatogener Autismus (emotionale Deffizienz bei passiv erlebtem Kontaktmangel wie z. B. bei sogen. “geistig behinderten” oder cerebral geschädigten Kindern); Pseudoautismus (bei Gehörlosigkeit, Blindheit, Taubblindheit oder Idiotie).
“Bei strenger Handhabung der diagnostischen Kriterien sind autistische Syndrome selten (0.1-0.40/00)” (M.Richartz in Kisker et al. S.55).
Autismus wird verstehbar, wenn (z. B. bei Gehirnphysiologischem Schalter, siehe ADHS) die Erfahrung der “töchterlichen Addition” (Sorge um die eigene Richtigkeit plus “miese” Selbstvorstellung), die auch bei Männern durch entsprechende Verwundungserfahrungen möglich ist, vorausgesetzt wird (implosive Wirkung). Die aus der Unterbrechung resultierende Schmach-Erfahrung korrespondiert mit Furcht. An sie kann sich Sorge (um die eigene Richtigkeit) anschliessen, was addiert wieder Schmach ergibt usw.
Die Fixierung dieses geschlossenen Systems bricht die Kommunikationsmöglichkeit ab. Hinter dem Bruch mit dem Draußen kann sich nun eine eigene Kommunikation im aversiven Bereich entwickeln (Fixierung von Leid). Neuere Entdeckungen haben deshalb auch enttarnt, dass bei einer “unterstützenden Therapie” (die Schreibhand wird gestützt, damit die Autistin bzw. der Autist einen Bildschirmschreibautomaten bedienen kann) Informationen über das Innenleben zu erhalten sind (siehe Birger Sellin “ich will kein inmich mehr sein. Botschaften aus einem autistischen Kerker”, hrsg. v. Michael Klonovsky, 1993; darin finden sich ausreichend Belege für das Erleben des Gehirnphysiologischen Schalters!). Dabei hat sich herausgestellt, dass sehr wohl Wahrnehmungen des Draussen stattfinden, intelligente Leistungen und geniale Begabungen möglich sind. Autismus hilft offenbar zu frühzeitiger visueller Lernfähigkeit (Lesen!), um die geistigen Möglichkeiten über Sprache zu aktivieren. Manche Autisten erweisen sich als hilfsbedürftig, da die konkrete Hilfe häufig den einzigen menschlichen Kontakt darstellt. Weitere Untersuchungen werden auf diesem Gebiet sicherlich folgen.
Die eigene Isolation wird als Schmerz empfunden, der nur über äußere Schmerzzuführung (Kopf gegen die Wand oder den Boden schlagen, Selbstverletzungen, Schreien usw.) kurzfristig kompensiert werden kann. Der Wunsch nach Gemeinschaft, nach Zugehörigkeit, weicht der Sorge um Kontrollverlust und der unbedingten Suche nach Schutz vor dem, was als beängstigend erlebt wird. Stereotypes Musizierverhalten oder Körperbewegungen treten dann auf, wenn Unsicherheit vor Neuem abgewehrt werden soll. Die verzweifelte Suche nach einem Ausweg aus der inneren Isolation versetzt diese Menschen in innere Kämpfe, die für den Außenstehenden weder nachvollziehbar noch fassbar sind.
Nichts fürchten egozentrische Menschen mehr als das, wonach sie sich am meisten sehnen: Annahme und Gemeinschaft. Die Kommunikationsprobleme egozentrischer Menschen duplizieren die Kommunikationsschwierigkeiten der autistischen Menschen, was den inneren Druck durch die scheinbare Ausweglosigkeit der Symptomatik für die Betroffenen noch erhöht.
Für den Umgang mit autistischen Menschen ergibt sich auch für uns, die nicht Betroffenen, die Herausforderung, andere Kommunikationsformen, als sie uns bisher vertraut sind, zu wagen und in der sensiblen Zusammenarbeit mit dem individuellen autistischen Menschen einen gemeinsamen Weg der gegenseitigen Akzeptanz zu finden, die auf dem Boden der Wahrnehmung der Gleichwertigkeit, trotz völliger Andersartigkeit, wachsen kann. Zu entdecken, wie der andere anders ist, wie der andere verarbeitet, wie der andere sich entspannt oder anspannt und selbige Wahrnehmung auch uns selbst gegenüber zu praktizieren, löst den Druck jeglicher Erwartungshaltung und öffnet Räume für annehmbare Begegnungen und die Lösung aus Ängsten, was neue Erfahrungen ermöglicht. Dabei ist das gemeinsame Meditieren nicht auf bestimmte Instrumente reduziert, sondern alles kann herangezogen werden, um Gegenüber von Interesse zu sein. Solange wir uns nicht unter Erfolgsdruck setzen, darf sich auch unser Gegenüber zeigen und mitteilen. Vor allem, wenn wir das Wissen haben, dass autistische Verhaltensweisen, also der Rückzug in eine verborgene Innenwelt, ein Schutzmechanismus ist, der entstanden ist aufgrund einer traumatischen Beziehungs- oder Kommunikationserfahrung mit all ihren weitreichenden Folgen.